«I have a dream»: Reden, die die Welt bewegten (2024)

«I have a dream»: Reden, die die Welt bewegten (1)

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Vor 60 Jahren rüttelte der Bürgerrechtler Martin Luther King mit seiner «I have a dream»-Rede die USA auf. Sie gilt bis heute als Paradebeispiel dafür, was Politiker weltweit zu wenig tun: gut, ja begeisternd reden. Ein Blick auf neun Ansprachen, die Geschichte schrieben.

Daniel Friedli, Daniel Foppa (Text) und Daniel Röttele (Illustration)

7 min

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Es drohte Martin Luther King an diesem Mittwoch im August zu gehen wie schon so manchem Redner vor und nach ihm. Er sprach engagiert und konzentriert, doch so richtig wollte der Funke zum schon etwas ermatteten Publikum nicht überspringen. Also machte King Pause, schob das Skript weg und setzte, ermutigt von der Sängerin Mahalia Jackson, zum frei gesprochenen Finale an: «Erzähl ihnen vom Traum, Martin», hatte Jackson ihm zugerufen. Und King sagte, was sein Berater noch als zu abgedroschen kritisiert hatte: «I have a dream . . .»

Bald 60 Jahre später hat sich Kings Traum noch immer nicht restlos erfüllt. Seine Rede aber gilt längst als Goldstandard der politischen Kommunikation: So sollte reden, wer ankommen will. Nur: Wie gelingt dies?

King, der frühere Baptistenprediger, war ein geübter Redner und kannte die Tricks für eine gute Rede, die sein Namensgeber, der Reformator Martin Luther, so umriss: «Tritt frisch auf, hör bald auf, mach’s Maul auf.» Er sprach über Persönliches, bezog das Publikum ein und platzierte seine Botschaft in originellen Metaphern und eingängigen Sätzen.

Doch Rhetorik allein ist keine Garantie für Erfolg. Das Publikum ist ein flatterhafter Richter, erst recht die Geschichte. Es ist unplanbar, was hängenbleibt, wie Thomas Kleine-Brockhoff, der Redenschreiber des früheren deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck, feststellte. Es gibt fein ziselierte Reden, die in Schönheit untergehen, pathetische, die wirkungslos verhallen, oder fade, die sich dank einer Wendung der Geschichte plötzlich als bahnbrechend erweisen.

Im Vorteil ist auf jeden Fall, wer Dringliches zu sagen hat. Nicht von ungefähr bleiben oft die Reden haften, in denen Kriege erklärt, Widerstand geschworen oder Grundrechte gefordert werden. Umgekehrt sprechen Schweizer Bundesräte, die sich am 1. August ans glückliche Schweizervolk wenden, schon von Beginn an aus dem Hintertreffen. Damit eine Rede zündet, muss also vieles stimmen.

Bei King war dies der Fall, wie der Redenschreiber Anthony Trendl analysiert hat: «Der richtige Mann sagte am richtigen Ort und zur richtigen Zeit zum richtigen Publikum die richtigen Worte.» Doch selbst dies ist keine Garantie dafür, dass diese Worte dann auch beherzigt werden, wie King und andere der folgenden Redner lernen mussten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cicero – Erste Rede gegen Catilina
  • Königin Elisabeth I. – Armada Speech
  • Emmeline Pankhurst – «Freiheit oder der Tod»
  • Martin Luther King – «I have a dream»
  • John F. Kennedy – «Ich bin ein Berliner»
  • Michail Gorbatschow – «Wir brauchen Demokratie»
  • Friedrich Dürrenmatt – «Die Schweiz – ein Gefängnis»
  • Angela Merkel – «Wir schaffen das!»
  • Greta Thunberg – «I want you to panic»

Cicero – Erste Rede gegen Catilina

«I have a dream»: Reden, die die Welt bewegten (2)

Was für Zeiten, was für Sitten! Der Senat weiss es, der Konsul sieht es, und doch lebt dieser Mensch. Er lebt? Ja, er kommt gar in den Senat, nimmt an einer öffentlichen Beratung teil und bestimmt und bezeichnet mit seinen Blicken jeden Einzelnen von uns zur Hinrichtung. Wir aber, tapfere Männer, bilden uns ein, dass wir genug für den Staat tun, wenn wir seinen Wahnsinn und die Waffen vermeiden. Schon längst hättest du, Catilina, durch den Befehl des Konsuls zum Tod geführt werden sollen.

Senat in Rom, 7. November 63 v. Chr., Länge: wohl zwischen 60 und 90 Minuten.

Die erste von vier Reden Ciceros gegen Catilina, der durch eine Verschwörung die Macht in der römischen Republik übernehmen wollte, von Cicero aber überführt wurde. Die Rede gilt als Meisterwerk antiker Rhetorik, Cicero begründete damit seinen Ruf als bedeutendster römischer Redner. Rhetorisch lebt sie vor allem davon, dass Cicero Catilina mehrfach mit rhetorischen Fragen direkt anspricht und so anklagt. Dabei spricht er konsequent aus der «Wir»-Perspektive, als wäre das Urteil der anwesenden Senatoren bereits gefallen

Die Rede im Wortlaut

Königin Elisabeth I. – Armada Speech

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Ich weiss, dass ich zwar den Leib eines schwachen und kraftlosen Weibes habe, dafür aber Herz und Mark eines Königs, noch dazu eines Königs von England, und ich kann nur darüber lachen, dass Parma oder Spanien oder irgendein Herrscher Europas es wagen sollte, die Grenzen meines Reiches zu überschreiten. Eher dass durch mich Unehre über mein Land komme, will ich deshalb selbst zu den Waffen greifen.

Tilbury, 9. August 1588, Länge: wenige Minuten.

Mit dieser Rede schwor Elizabeth I. ihre Truppen auf den Kampf gegen die anrückende spanische Armada ein. Es ist eine der berühmtesten Reden Englands, sie stärkte damals den Nationalstolz und steht bis heute für die singuläre Stellung der Insel, auf die sich zuletzt auch die Brexiteers beriefen. Um dem Heer Mut zu machen, geht Elizabeth von sich selbst aus und macht sich dabei über das Geschlecht hinweg von der Königin zum König.

Die Rede im Wortlaut

Emmeline Pankhurst – «Freiheit oder der Tod»

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Das menschliche Leben ist für uns heilig, daher sind wir fest dazu entschlossen: Wenn schon Leben geopfert werden muss, dann unser eigenes. Wir werden uns nicht selbst umbringen, aber wir werden unsere Gegner in eine Position zwingen, in der sie sich entscheiden müssen: Gebt uns endlich unsere Freiheit, oder tötet uns.

Hartford, Connecticut, 13. November 1913, Länge: wohl zwischen 80 und 100 Minuten.

Pankhurst war eine Anführerin der Suffragetten, die in England erst gewaltlos, dann immer radikaler für das Stimmrecht der Frauen kämpften. Ihre berühmteste Rede hielt sie in den USA, um Spenden für ihre Bewegung zu sammeln. Sie definiert und verteidigt darin das Vorgehen der Suffragetten und tut dies unter anderem, indem sie die Männer fragt, was sie denn wohl anstelle der Frauen täten.

Die Rede im Wortlaut

Martin Luther King – «I have a dream»

Ich habe den Traum, dass eines Tages diese Nation sich erheben und der wahren Bedeutung ihres Credos gerecht werden wird, das da lautet: «Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind.»

Washington, 28. August 1963, Länge: 16 Minuten.

Freiheit, Gerechtigkeit und gleiche Rechte für Schwarze und Weisse, der American Dream aus Sicht der unterdrückten Minderheit. Kings Rede beim Marsch auf Washington wurde von Experten zur besten amerikanischen Rede des 20. Jahrhunderts gewählt, sie ist heute der Inbegriff einer Bürgerrechtsrede. Rhetorisch zeichnet sie sich dadurch aus, dass der frühere Pastor King mehr predigt als spricht, das Publikum zum Antworten animiert und den Beginn der Sätze wie einen Refrain nutzt, der sich mehrmals wiederholt.

Die Rede im Wortlaut

John F. Kennedy – «Ich bin ein Berliner»

«I have a dream»: Reden, die die Welt bewegten (6)

Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger dieser Stadt Berlin, und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können: Ich bin ein Berliner.

Rathaus Schöneberg in Berlin-West, 26. Juni 1963, Länge: 9 Minuten.

Zwei Jahre nach dem Bau der Mauer kam dem Besuch des US-Präsidenten grosse symbolische Bedeutung zu. Ziel war es, sich mit West-Berlin sowie der Bundesrepublik solidarisch zu zeigen und rhetorisch Widerstand gegen die Sowjets zu leisten. Kennedy schaffte es auf exemplarische Weise, diese Botschaft in einem einzigen, persönlichen Satz zusammenzufassen.

Die Rede im Wortlaut

Michail Gorbatschow – «Wir brauchen Demokratie»

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Sonst werden, Genossen, die Politik und der Umbau zusammenbrechen. Wir brauchen Demokratie wie die Luft zum Atmen.

Moskau, 28. Januar 1987, Länge: unbekannt.

Kritik an Partei und Kaderpolitik, Übergang zu Glasnost und Perestroika: An Gorbatschows Schlusswort an seine Parteigenossen von 1987 war weniger entscheidend, wie er es vortrug – ein Tondokument gibt es nicht –, sondern was er darin sagte. Die Rede läutete das Ende des Kalten Krieges ein und war so delikat, dass sie in anderen kommunistischen Ländern wie der DDR erst nur in entschärfter Form wiedergegeben wurde.

Friedrich Dürrenmatt – «Die Schweiz – ein Gefängnis»

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Der Schweizer hat damit den dialektischen Vorteil, dass er gleichzeitig frei, Gefangener und Wärter ist. Das Gefängnis braucht keine Mauern, weil seine Gefangenen Wärter sind und sich selber bewachen, und weil die Wärter freie Menschen sind, machen sie auch unter sich und mit der ganzen Welt Geschäfte, und wie!

Rüschlikon, 22. November 1990, Länge: 18 Minuten.

In seiner Rede zur Verleihung des Gottlieb-Duttweiler-Preises an Vaclav Havel beschrieb Dürrenmatt die doch so freiheitsliebende Schweiz vor Bundesräten und hohen Gästen als ein Gefängnis, in dem sich die Schweizer selbst bewachen. Die Rede löste einen Aufschrei aus, einerseits weil der Präsident der Tschechoslowakei früher selbst als politischer Gefangener eingesperrt war, andererseits weil Dürrenmatt damit das Selbstverständnis des Landes radikal infrage stellte.

Angela Merkel – «Wir schaffen das!»

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Ich sage ganz einfach: Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!

Berlin, 31. August 2015, Länge: 15 Minuten.

Die Kanzlerin lieferte hier die Kurzformel für die Willkommenskultur, mit der Deutschland der Flüchtlingskrise von 2015/2016 begegnete. Der Satz wurde prägend für Merkels gesamte Amtszeit. Kritiker halten ihn ihr bis heute vor, vom Uno-Flüchtlingshilfswerk wurde sie mit einem Preis geehrt. Merkel selbst bedauerte später, dass der motivierend gemeinte Satz oft als Provokation aufgefasst wurde. Die Phrase sei stark überhöht worden.

Die Rede im Wortlaut

Greta Thunberg – «I want you to panic»

«I have a dream»: Reden, die die Welt bewegten (10)

Ich will eure Hoffnung nicht. Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid. Ich will, dass ihr in Panik gerät. Ich möchte, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre. Und dann will ich, dass ihr handelt. Ich will, dass ihr so handelt, wie ihr es in einer Krise tun würdet. Ich will, dass ihr so handelt, als ob unser Haus in Flammen stehen würde. Denn so ist es.

Weltwirtschaftsforum Davos, 25. Januar 2019, Länge: 6 Minuten.

Greta trug mit diesen Worten die Wut der Klimajugend direkt und brachial ins Zentrum der wirtschaftlichen und politischen Elite. Die Galionsfigur der Klimabewegung war die junge Schwedin dank ihrem «Schulstreik fürs Klima» damals schon. Mit dieser Rede verlieh sie der Bewegung zusätzliche Kraft, die sie in der Folge auch für einige politische Erfolge nutzen konnte.

Die Rede im Wortlaut

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